Kinder im Zug

Frau & Gesellschaft

Gesellschaft

Mit der "Königin des
Ozeans" durch Sri Lanka

Am 26. Dezember 2004 ereignete sich in Sri Lanka das schwerste Zugunglück aller Zeiten: Auf dem Weg von Colombo in den Süden wurde der überfüllte Expresszug "Königin des Ozeans" vom Tsunami erfasst. Die Bahnstrecke ist repariert und die meisten Schäden entlang der Küste behoben. Eindrücke von einer Bahnfahrt mit der neuen "Königin des Ozeans" ein Jahr nach dem Seebeben.

Ringübergabe am Bahnhof
Ringübergabe am Bahnhof - nur so lassen sich die Weichen stellen

Der Himmel ist wolkenlos und die See beinahe spiegelglatt. Als ich den Bahnhof von Colombo betrete, beschleicht mich ein mulmiges Gefühl, denn vor einem Jahr soll das Meer frühmorgens genauso harmlos ausgesehen haben. Der Schaffner entwertet meine Fahrkarte und ich betrete das brechend volle Bahngleis. Es ist 7.08 Uhr, als der Expresszug Nummer 50 einrollt. Endstation ist die Stadt Matara im Süden Sri Lankas. Die Menschen schieben und schubsen, um einen Sitzplatz zu ergattern, in der dritten Klasse ist es so früh am Morgen schon höllisch warm. Ich quetsche mich in einen der übervollen Waggons.

Ratternd setzt sich "Samudra Devi", die "Königin des Ozeans", in Bewegung. Der Expresszug heißt so, weil er Sri Lankas Königsstrecke abfährt: Immer die Küste entlang, mit herrlichen Ausblicken auf Traumstrände und Ozean. Mit ungefähr 40 Stundenkilometern passiert die Bahn den Badeort Mount Lavinia, der unbeschädigt blieb. Den ersten Halt legt der Expresszug in Kalutara ein. Einige der dort lebenden Moslems deuteten Satellitenbilder vom Tsunami später als Zeichen Allahs; sie sagten, Gott habe seinen Namen in arabischen Lettern in die Bucht von Kalutara geschrieben. Langsam fährt der Zug los, einige junge Männer laufen ihm hinterher und springen aufs Trittbrett. Vor genau einem Jahr filmte ein Gast des Tangerine Beach Hotels von seinem Balkon aus die herannahende Welle. Die Videoaufnahme ging um die Welt. Das Hotel ist längst repariert, nichts deutet auf die Katastrophe vor einem Jahr hin.

Tempel am Meer
Tempel am Meer

Südlich von Kalutara ist die Strecke nur noch eingleisig. Ein ausgeklügeltes System verhindert allerdings Zusammenstöße. Ab sofort tauschen Lokführer und Stationsvorsteher an jedem Bahnhof einen Ring mit Messingscheibe - ohne die Scheibe lassen sich die Weichen nicht stellen. Auf der weiteren Fahrt in Richtung Süden werden die Strände paradiesischer, das Ausmaß der Zerstörung aber auch größer. In Beruwela steigt ein buddhistischer Mönch in orangener Kutte zu. Eine junge Frau überlässt ihm ihren Sitzplatz. Der Zug wird immer voller, ein fliegender Händler drängelt sich durch die Abteile. Ich kaufe ihm einige Linsenbällchen ab, die er in Zeitungspapier einschlägt. Einige Fahrgäste sehen mir amüsiert zu, weil die Chili-Bällchen mir den Schweiß auf die Stirn treten lassen. Diese Schärfe brennt garantiert jede Bakterie weg. Die "Königin des Ozeans" ruckelt an Kokospalmen und Lagunen vorbei. Zwei große Pauschalhotels, der Club Bentota und das Kosgoda Beach Hotel sind noch im Aufbau - die Gebäude liegen beide auf einer Landzunge und wurden schwer zerstört, weil die Wassermassen sich bis in die Lagunen wälzten. Alle anderen Hotels sind wieder geöffnet, einige Frühaufsteher machen schon Strandspaziergänge. Der Expresszug Nummer 50 nähert sich dem Ort, wo sich vor einem Jahr das verheerende Zugunglück mit 1500 Toten ereignete. In Ambalangoda legt die Bahn eine längere Pause ein.

Die weitere Strecke ist wegen der zentralen Gedenkfeiern in Pereliya für zwei Stunden gesperrt. Ich nehme mir ein dreirädriges Mini-Taxi zu dem zerstörten Fischerdorf. Die Flaggen stehen auf Halbmast, überall hängen weiße Fahnen zum Zeichen der Trauer. Präsident und Premierminister halten Ansprachen, Soldaten bewachen das Gelände, Pereliya gleicht einem Hochsicherheitstrakt. Um 9.30 Uhr hebelte die Riesenwelle den Expresszug aus den Gleisen und radierte das Fischerdorf aus. Ein Jahr später, genau zu diesem Zeitpunkt halten die Menschenmassen inne, der Verkehr stoppt, die Überlebenden legen eine Schweigeminute ein.

Trauerfeierlichkeiten zum Jahrestag
Trauerfeierlichkeiten zum Jahrestag

Dieses Mal geht die Reise weiter, in Hikkaduwa setze ich meine Fahrt mit der neuen "Königin des Ozeans" fort. Am Bahnhof stehen drei zerstörte Waggons des Vorgängerzuges - zum Gedenken an die vielen Toten. Mit zweistündiger Verspätung erreicht der Zug die Stadt Galle. Vor einem Jahr lenkten die schweren Mauern des Forts die Wassermassen auf den Busbahnhof um, der förmlich verschluckt wurde. Der Busbahnhof ist repariert, in der Umgebung deuten noch ein paar Zelte für Obdachlose auf die Katastrophe hin. Langsam wird die schwülwarme Hitze unerträglich, ich fächere mir Luft zu. Der Zug erreicht die Südküste. Das Badeparadies Unawatuna ist noch nicht komplett aufgebaut, aber der Strand so schön wie vor der Flut. Vor einigen, neu gebauten Häusern stehen Kinder und winken den Passagieren zu. Neben den Gleisen gehen Frauen mit Schirmen als Schutz vor der gleißenden Sonne. Die Lok quietscht und knattert, schlängelt sich an Traumstränden mit türkisblauem Wasser vorbei. Buddhistische Gesänge ertönen aus einem kleinen Tempel, der direkt am Meer liegt. Er blieb wie durch ein Wunder von den Zerstörungen verschont, Gläubige legen Lotosblüten ab.

Kleines Mädchen im Zug

Die Bucht von Weligama mit der vorgelagerten Insel sieht paradiesisch aus. In den Waggons ist es nicht mehr ganz so voll, wir nähern uns der Endstation. Nicht weit von hier ist das Blow Hole, eine Felsöffnung, die über einen Kanal mit dem Meer verbunden ist. Bei Wellengang entstehen Fontänen, wenn Wasser durch die Öffnung gepresst wird. Am Tag des Tsunami war die Fontäne 150 Meter hoch, erzählt mir ein Mitreisender. Mit gut zwei Stunden Verspätung erreicht die "Königin des Ozeans" Matara. Die See liegt noch immer ruhig da.

Text: Claudia Piuntek
Fotos: Rainer Mersmann
Artikel vom 27.12.2005

Der Originalartikel bei Brigitte.de

Zurück zur Leseproben-Übersicht  Zurück zur Leseproben-Übersicht